Februar 19, 2025

Im Dorftreff Marbach: Die Geschichte des Krekel in Marburg

Erinnerungen an einen vergangenen Ort

Das Thema der ersten Dorftreffveranstaltung im Jahr 2025, am 8. Januar, interessierte mehr Marbacher als erwartet, zusätzliche Stühle wurden herbeigeschafft und weitere Gedecke für die Bewirtung mit Kaffee und Kuchen. Petra Heuser hieß die Gäste im gut gefüllten Anbau des Bürgerhauses willkommen.

Den inhaltlichen Teil eröffnete Christina Hey, die zusammen mit Ursula Mannschitz und Hartmut Möller als Stadtschrift erarbeitet hat: „Erinnerungen an einen vergangenen Ort. Die Siedlung am Krekel in Marburg“ (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, Band 118, Marburg 2023). Ältere Marburger erinnern sich gut an die sehr einfachen Unterkünfte im Süden Marburgs, an der Lahn, wo zwischen 1930 und 1973 bis zu 200 Menschen wohnten, viele davon Kinder. Wer seine Wohnung verloren hatte, fand hier ein Dach über dem Kopf. Ein großer Teil des Lebens spielte sich im Freien ab, weil die Familien beengt lebten. Es gab kein fließendes Wasser, das Wasser wurde an einer Pumpe im Hof geholt, und erst seit 1939 gab es Strom. Die Toiletten waren außerhalb der Wohnungen, in einem Häuschen auf dem Gelände.

Die Recherche-Arbeit der AutorInnen trug zahlreiche Fotos aus Privatalben der Krekelbewohner zusammen, von denen viele in der Stadtschrift abgebildet sind. „Erinnerungen an einen vergangenen Ort“ ist ein Buch, das nicht nur über die Menschen am Krekel erzählen will, sondern auch mit ihnen gemeinsam erarbeitet wurde.
Ziel ist es, die Bewohner der Krekelsiedlung zu Worte kommen zu lassen, ihre Erinnerungen festzuhalten und über die Lebens- und Wohnbedingungen zu informieren. Folgerichtig waren auch ehemalige Bewohner zu der Dorftreff-Veranstaltung eingeladen und gekommen: Lieselotte Rabe im Rollstuhl, inzwischen über 80 Jahre alt, berichtete von ihrem arbeitsreichen Leben am Krekel. Sie hat fünf Kinder großgezogen und ging tagsüber arbeiten als Verkäufern bei TEKA, am Abend dann noch putzen bei Woolworth. Das war nur möglich, weil ihre Schwester auch am Krekel wohnte und abends auf die Kinder aufpasste. Gemeinsamkeit und gegenseitige Hilfe wird von den „Krekeljanern“ gelobt. Lieselotte Rabe wundert sich im Nachhinein selbst, wie sie das alles geschafft hat, zur Arbeit gegangen, für ihre Kinder gestrickt, den Haushalt versorgt. Im Buch berichtet sie auch über weniger schöne Erinnerungen, über verächtliche Reaktionen auf die Lebenssituation in der Siedlung am Krekel.

Die Autoren des Buches, die alle anwesend waren, berichteten dann zu verschiedenen Schwerpunkten ihrer Arbeit am Projekt. Ursula Mannschitz fasste die Interviews, die sie und Christina Hey geführt hatten, zu Geschichten zusammen, die die persönlichen Erinnerungen der Bewohner wiedergeben. „Es mag sein, dass sich die Rückblicke anderer Menschen deutlich von den in diesem Buch dargestellten Erinnerungen unterscheiden … Das Buch erhebt keinen Anspruch auf eine allgemeingültige Wahrheit.“ ( S.18)

Hartmut Möller ging als Kind in die Volksschule Schwanhof-Ockershausen, in die auch die Kinder aus dem Krekel gingen. Er erinnert sich, dass er eine Mitschülerin, die ihr Heft vergessen hatte, auf Anweisung der Lehrerin in die Siedlung begleitete, die er vorher nie betreten hatte. Der Umgang mit den Kindern vom Krekel war von den Eltern nicht erwünscht, wie sich auch andere Teilnehmer der Gesprächsrunde, die in der Nähe gewohnt haben, erinnern.
Hartmut Möller hat sich einer Lebensgeschichte besonders angenommen, der Geschichte Heinrich Schäfers, auf den durch einen „Stolperstein“ am Krekel hingewiesen wird. Heinrich Schäfer, der von den Nationalsozialisten 1944 in Frankfurt-Preungesheim mit einem Fallbeil ermordet wurde. Er wurde 1902 in Marburg geboren und hatte sieben Geschwister. Er erlernte den Beruf des Elektrikers, war aber immer wieder arbeitslos, saß auch wegen Eigentumsdelikten im Gefängnis. 1932 heiratete er Ida Daus, die bereits vier Kinder hatte. (S.192) Mit weiteren zwei gemeinsamen Kindern wohnten sie am Krekel. Er leistet Widerstand, als er seine Wohnung am Krekel verlassen soll, vermutlich wegen Mietschulden „und wehrt sich mit einer Axt gegen die Zwangsräumung“ (191) Es beginnt ein verhängnisvoller Weg, auf dem er als „Berufsverbrecher“ gebrandmarkt wird, und über das Gefängnis in Marburg, verschiedene KZs schließlich in Frankfurt Preungesheim landet.
Die Reaktionen der Gäste des Erzählcafés zu den Berichten waren durchweg positiv, auch wenn der letzte Lebenslauf einen bedrückenden Eindruck hinterließ. Mit herzlichem Dank an alle Ehrenamtlichen, die die Veranstaltungen tragen, verabschiedeten sich die Gastgeber.

Brigitte Hauswaldt, Januar 2025